Gut belichtet?
Meine Freundin Evi liebt graue Nebeltage. Wenn die Regentropfen – plim-plim-plum – an die Fensterscheibe prasseln, verkriecht sie sich mit einem guten Buch und einer Riesentasse Kakao auf die Couch und ist restlos zufrieden. Wenn sie etwas zu bestimmen hätte, hätte das Jahr elf Monate lang November, brrr!
Mir reichen diese 30 trüben Tage vollauf, die ich notgedrungen über mich ergehen lassen muss. Aber so ein Schmuddelwetter im Sommer? Das halte ich für völlig fehl am Platz! Mein Vorschlag: Es könnte doch in der Nacht regnen. Dann wäre der Himmel am Morgen wieder frischgewaschen und blau, und die Sonne könnte fröhlich auf uns herunterscheinen. Sonnenschein macht gute Laune. Unsere Abwehr gegen Infekte wird gestärkt, Krebs, Diabetes und Stoffwechselkrankheiten werden eingedämmt, wir werden wach und lebendig. Da reicht schon eine Viertelstunde täglich, in der wir unser Gesicht, unsere Hände und Unterarme bescheinen lassen, denn der Schöpfer hat die Haut mit «Sonnenkollektoren» ausgestattet, die den Segen der Sonnenstrahlen aufnehmen. Die chemische Fabrik, die in uns eingebaut ist, macht dann lebenswichtige Stoffe daraus.
Mein herzliches Beileid gilt allen Kollegen, die ihre Büros mit Rollos gegen die blendende Helle abschirmen, damit sie besser am Computer arbeiten können – die Ärmsten hocken im Finstern, während draußen die schönste Sonne scheint!
Neuerdings beobachte ich immer öfter Teens und Twens, die im Halbdunkel auf Smart- phone-, Tablet-, und sonstige Bildschirme starren und sich – so sieht es jedenfalls aus – in ihrer virtuellen Welt wohler fühlen als auf einer Bank in der Sonne. Dabei brauchen wir den Sonnenschein genauso wie Zuneigung und Annahme. Wir leben von der Liebe und durch die Liebe. Das Lächeln eines Babys, das Vertrauen eines Kleinkindes, das macht uns das Herz warm und bringt eine Portion Glück in unseren Alltag. (Und ich weiß, wovon ich rede, bin kürzlich Oma geworden!) Doch so mancher verkriecht sich in seine «Höhle» wie ein Grottenolm und dreht sich nur noch um die eigenen Wünsche und Probleme. Kein Wunder, dass solche Einsiedler trübsinnig werden und verwittern, vielleicht sogar verbittern? Das soll uns nicht passieren! Lernen wir lieber von der Sonnenblume. Sie dreht ihr liebenswertes Strahlengesicht immer der Sonne zu. Sie tankt deren wohltuende Strahlen, und ihre Kerne werden prall und reif. In der Erntezeit kann sie die gespeicherte Energie weitergeben und Menschen und Tiere damit satt machen. Auch wir dürfen uns von der Güte und Liebe unserer Mitmenschen «füttern lassen» und sind dann gern bereit, diese Wärme weiter zuschenken. Das tut uns selber gut und den anderen auch.
Sylvia Renz
Schriftstellerin
Leben und Gesundheit 4/2014