Meditation auf dem Prüfstand

Ängste, Depressionen, Burnout, Überforderung! Immer mehr scheinen die Menschen heutzutage von psychischen Erkrankungen bedroht oder betroffen zu sein. Statistisch gesehen stehen 60 – 90 % aller ärztlichen Konsultationen im Zusammenhang mit stressbedingten gesundheitlichen Leiden.

Achtsamkeit & Meditation …?

Da stellt sich ganz unweigerlich die Frage nach ganzheitlichen Lösungsstrategien und Heilungsmöglichkeiten für ein immer größer werdendes, gesellschaftsübergreifendes Problem. Gleichzeitig ist der Begriff «Mindfulness» – Achtsamkeit – in aller Munde, und Praktiken wie die Meditation oder das kontemplative Gebet erfreuen sich großer Beliebtheit – mehr denn je. Und natürlich, wer würde da nicht aufmerksam werden, wenn es etwas gibt, was eine Verbesserung des Blutdrucks, des Cholesterin- Spiegels, der Arteriosklerose, der koronaren Herzkrankheit, der kognitiven Funktionen und des Immunsystems sowie die Linderung von chronischen Schmerzen und Fibromyalgie- Symptomen, eine Gewichtsreduktion und sogar eine höhere Lebenserwartung verspricht! Tatsächlich berichten zahlreiche Magazine und Artikel von den Vorzügen und positiven Effekten von Achtsamkeit und Meditation. Diese sollten generell die Stimmung verbessern, die Rückfallhäufigkeit bei Depressionen verringern, die Raucher- und Alkoholentwöhnung ermöglichen, Ängste und Sorgen lindern, Essstörungen heilen und die Aufmerksamkeit verbessern. Demnach müsste die Meditation einer Art «Panazee» (Das Wort Panazee stammt aus der griechischen Mythologie, von der Göttin Panakeia, welche dem Mythos nach alles heilen konnte und demnach für Dinge oder Praktiken steht, mit welchen man alles heilen könne) – einem Universalheilmittel – gleichkommen und «für alles gut sein».

Doch ist Meditation tatsächlich eine Panazee, also DIE Lösung für alles? Oder ist uns bisher nur die herausragende Spitze eines Eisberges bekannt, dessen Unterbau eigentlich noch sehr verborgen und kaum erforscht ist?

Es gibt eine Vielzahl von Meditationsarten: Vipassna-Meditation, Mantra-Meditation, Mindfulness-Meditation, transzendentale Meditation, atemfokussierte Meditation, Kripalu-Yoga, Kundalini-Yoga und das kontemplative Gebet etc. Alle haben laut Forschung dieselben gemeinsamen Auswirkungen auf den Körper und das Gehirn. Unabhängig von der Meditationsart konnte man nachweisen, dass sich durch das Meditieren sowohl die Herz- als auch die Atemfrequenz verringert. Außerdem sinken während der Meditation der Sauerstoffverbrauch und der Blutdruck. In den Hirnstromkurven nimmt die Aktivität der «langsamen Wellen» deutlich zu. Und tatsächlich wird durch das Meditieren eine Entspannungsantwort des Körpers bewirkt.

Interessanterweise gab es bislang jedoch nur eine prospektive Langzeitstudie, welche sich auch mit den Nebenwirkungen der Meditation auseinandergesetzt hat – die Shapiro Studie, welche 1992 publiziert wurde. In dieser Studie wurden 27 Probanden, welche längere Zeit regelmäßig das Meditieren praktizierten, über einen Zeitraum von über 4 Jahren beobachtet und befragt. 62,9 % der Teilnehmer berichteten über mindestens eine Nebenwirkung, und 7,4 % litten an beträchtlichen unerwünschten Nebenwirkungen. Auch wurde nachgewiesen, dass das Ausmaß und die Dauer der Nebenwirkungen in positivem Zusammenhang mit der Dauer der Meditation standen.

Man unterscheidet entsprechend den Angaben der Probanden intrapersonelle und interpersonelle Nebenwirkungen:

– Intrapersonelle Nebenwirkungen (d. h. auf die eigene Person auswirkend)

  • Vermehrt negative Einstellungen und Ansichtsweisen
  • Sucht nach Meditation («Escapism»)
  • Langeweile und Schmerzen
  • Verwirrung und Desorientierung

– Interpersonelle Nebenwirkungen (d. h. auf die Beziehungen sich auswirkend)

  • Meditation wurde als Alternative für zwischenmenschliche Beziehungen bevorzugt
  • Stärkeres Empfinden für die negativen Eigenschaften anderer, «Richtergeist» oder ein Gefühl der «falschen» Überlegenheit
  • Erleben von Unbehagen in Gegenwart der eigenen Freunde
  • Gefühle der Entfremdung von der Gesellschaft
  • Unbehagen in der «reellen» Welt
  • Schwierigkeiten, sich an die «reelle» Welt anzupassen
  • Neben diesen subjektiven Aussagen und Berichten wurden mitunter folgende Störungen während des Untersuchungszeitraums beobachtet
  • Psychosen
  • Manien
  • Depersonalisationen
  • Ängste
  • Panikattacken
  • Schlafstörungen
  • Flashbacks (wiederkehrende traumatische Erinnerungen)
  • Klinische Verschlechterung von zuvor bestehenden Störungen

Erklärung

Wie lassen sich nun die beschriebenen Nebeneffekte der Meditation wissenschaftlich erklären? Genaue Erklärungen oder Nachweise über die Mechanismen, die dies bewirken, existieren noch nicht im Detail. Allerdings gehen Psychiater und Neurowissenschaftler davon aus, dass eine Hyperkonnektivität des präfrontalen Kortex (Teil der Großhirnrinde, wo das moralische Bewusstsein/ der Charakter verankert ist) und der limbischen Regionen (Teil des Gehirns, das für unterbewusste Gefühle/Prozesse verantwortlich ist) eine «affektive» oder emotionale Abstumpfung triggern kann. Die erhöhte Aktivität im unteren parietalen Areal der Großhirnrinde könnte zur Depersonalisation (Verlust oder Beeinträchtigung des Persönlichkeitsbewusstseins) führen. Betroffene erleben sich selbst als fremdartig oder unwirklich.

Die Einschränkung von Stimuli aus der Umwelt auf das internale sensorische System könnte eine autonome Übererregbarkeit, Wahrnehmungsstörungen, Flashbacks und Psychosen begünstigen oder sogar auslösen. Einfacher gesagt: Beim Meditieren bemüht man sich durch bestimmte Techniken, die Aufnahme aller äußeren Reize möglichst auszuschalten, sich von allem «zu entleeren». Durch die Verlangsamung sämtlicher kognitiver Prozesse kommt es aber zur Panik-Antwort des Gehirns, denn diese benötigten Reize aus der Umwelt, um uns einen Überblick über die reale Welt zu verschaffen und eine entsprechende Anpassung zu ermöglichen. Panik- oder Angstreaktion gehört deshalb zu den am meisten dokumentierten Phänomenen, die im Zusammenhang mit Meditation beobachtet wurden.

Ein höherer Bewusstseinzustand?

Ein anderes Ziel der Meditationsverfechter und zugleich Hauptinhalt der fernöstlichen Philosophien ist die Entwicklung eines neuen oder «höheren » Bewusstseinszustandes. In den Untersuchungen mittels EEG (Hirnstromkurven)-Aufzeichnungen während des Meditierens konnte die Forschungsgruppe Fell, Huang & Lo eine Zunahme der sogenannten Alpha- und Theta-Wellen nachweisen. In diesem Zustand der Alpha- und Theta-Wellenaktivität befindet sich der Mensch vornehmlich in einem völlig passiven, «lernbereiten», aber auch durchaus manipulierbaren Zustand.

Das Gehirn und seine Aktivität werden beeinflusst

Mittels bildgebender Verfahren ließ sich außerdem belegen, dass beim Meditieren nur initial eine vermehrte Aktivität im Frontallappen (Zentrum für Moral, Gewissen und Persönlichkeit) herrscht, wenn sich der Meditierende zunächst auf seine Meditationsübung stark konzentrieren muss. Später jedoch fährt diese komplett herunter. Dann greift die Aktivität auf die linke Hemisphäre (Großhirnhälfte) und später überwiegend auf die rechte über. An buddhistischen Mönchen konnte sehr eindrücklich gezeigt werden, dass es bei längerer Meditation fast ausschließlich zu einer rechtsseitigen Aktivierung der Großhirnrinde und einer weitgehenden Deaktivierung der linken Hemisphäre kommt. Dies scheint zu einer vermehrten Anfälligkeit für Depressionen zu führen.

Erfahrene Meditierende wiesen außerdem im Allgemeinen eine verminderte emotionale Reaktion auf sonst körperlich und emotional aufwühlende Reize auf. Laut einer Schmerzstudie findet beim Meditieren eine Art Entkoppelung im Gehirn statt. Bei Zen-Meditierenden konnte eine generell niedrigere Schmerzempfindlichkeit nachgewiesen werden. Zwar kann es von Vorteil sein, wenn man Schmerzen besser und mit weniger Unbehagen tolerieren kann, jedoch zeigte sich bei denselben untersuchten Zen-Anhängern zugleich eine geringere Aktivität in Hirnarealen, die für Gedächtnis, Emotionen und die Bewertung verantwortlich sind.

Darüber hinaus konnte eine Veränderung in der Aktivität des Thalamus festgestellt werden, einer Hirnstruktur, welche quasi als «Tor zum Bewusstsein» dient. Hier treffen Signale, die von unseren Sinnesorganen und unserem Körper ausgehen, ein und werden dann, je nachdem ob sie für uns «wichtig» sind oder nicht, an das Großhirn weitergeleitet. Durch Veränderungen der Thalamus-Aktivität vollzieht sich somit auch ein Wandel in der Bewertung dessen, was wichtig und was nicht von Bedeutung ist.

In anderen Untersuchungen, bei denen die Aktivität in bestimmten Arealen des Gehirns gemessen worden ist, zeigte sich in einem bestimmten Areal (sog. DMT-Areal), welches grundlegend für das Ausbilden von Selbstreflexion, Empathie und Zukunftsperspektiven ist, eine deutlich verminderte Aktivität. Zusammenfassend lässt sich dem Meditieren eine betäubende, wenn nicht sogar abstumpfende Wirkung zuschreiben. Manche Experten sprechen auch von einer «mentalen Anästhesie ».

Schlussfolgerung und Alternative

Was sagen uns die genannten wissenschaftlichen Erkenntnisse? Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen? Zum einen könnten uns Meditationsübungen wie beim Beispiel der stark reduzierten Schmerzwahrnehmung der Zen-Buddhisten eine Art Abschirmung vor unangenehmen Gefühlen oder Wahrnehmungen bieten, was bei manchen Krankheitsbildern ja zu einem gewissen Grad durchaus erwünscht und von Vorteil sein könnte. Doch zugleich stellt sich die Frage: Was passiert, wenn ein Mensch seine Sensibilität für emotional und körperlich schmerzhafte Stimuli verliert? Anstatt diese von außen kommende Information in unsere Hirnstrukturen und -prozesse zu integrieren, bewirkt das Meditieren eine Art Entkoppelung der eigenen Wahrnehmung von den eigenen Werten und der Realität. Könnte dies nicht auch einen Verlust des Zugangs zur Realität und in gewisser Weise die Flucht in eine Scheinwelt bewirken? Das Tolerieren eines «dualen» Zustandes wird ermöglicht. Somit wird ein Ausweg aus dem Leiden, das durch die Konfrontation von Gutem und Schlechtem entsteht, geschaffen. Eine Dualität wird ermöglicht, die das Nebeneinander von Gut und Böse nicht nur in unserer Umwelt, sondern auch in uns selbst zulässt und gutheißt. Der enge Zusammenhang mit der fernöstlichen Philosophie des Ying und Yang–Prinzips, wo Schwarz und Weiß, Schlecht und Gut nebeneinander existieren dürfen und nicht mehr gewertet werden, bleibt unverkennbar.

Das alles steht ganz im Gegensatz zur biblisch-christlichen Philosophie, wo eine sehr klare Trennung von Gut und Böse bereits am Anfang der Menschheitsgeschichte vollzogen wird. Laut biblischer Lehre ist diese Dissonanz, nämlich die Unvereinbarkeit von Gut und Böse, Recht und Unrecht, Sünde und Reinheit, von Gott persönlich in den Menschen hineingelegt und bildet auch den innerlichen Antrieb zur persönlichen Veränderung sowie zur Veränderung gesellschaftlicher Strukturen und zur Nächstenliebe.

Doch auch im biblischen Sprachgebrauch findet das Wort Meditation seinen Platz. So werden die Menschen im Alten und Neuen Testament immer wieder dazu ermutigt, über das göttliche Gesetz und Gottes reinen, erhabenen und liebenswerten Charakter zu meditieren bzw. nachzusinnen (siehe z. B. Josua 1,8 oder Philipper 4,8). Anstelle der Parole zur bloßen «Selbstentleerung» gilt die Aufforderung an den Leser der Schriften, sich vom Schlechten zu entleeren und sich mit dem Guten, also mit reinen Grundsätzen und Wahrheiten über die Welt und die Realität, in der wir leben, FÜLLEN zu lassen.

Somit können das eigene Verhalten und Leben durch Selbstreflexion und eine vernünftige Bewertung der Umstände und persönlichen Gedanken letztlich Heilung erfahren. Es wird nicht nur zur bewussten Konfrontation mit unangenehmen und schmerzhaften Informationen und Reizen aufgerufen, sondern vielmehr auch zur Besinnung auf einen Gott, der selbst inmitten von Leid, Angst und Sorge im Hier und Jetzt Hoffnung, Trost und Seelenfrieden spenden kann und möchte. Aus diesem Nachsinnen über Gottes Liebe, Macht und Gegenwart in der wunderschönen Natur, in den wertvollen Erfahrungen anderer Menschen, aber auch im eigenen persönlichen Leben schöpft der biblisch Meditierende wieder Kraft, um über die eigenen Grenzen und Möglichkeiten zu blicken und an den «reellen» Missständen in dieser Welt nicht zu zerbrechen oder in Gleichgültigkeit untätig daneben zu stehen. Anstelle des «höheren Bewusstseinszustandes » steht hier ein wirkliches Leben und Erleben im Bewusstsein eines höheren Wesens im Vordergrund, das uns aber tatsächlich über die Schwierigkeiten und Sorgen unserer Zeit und Welt erheben kann! Eine Alternative, die ich in meinem persönlichen Leben wie auch im ärztlichen Umgang mit Menschen als sehr lohnend erlebe.

Dr. Med. Lydia Binus

Allgemeinmedizin

Dr. Daniel Binus

Klinik-Leiter, «Beautiful Minds Medical»

Leben & Gesundheit Ausgabe 1/2021