Warum wir Schlaf brauchen

Schlaf als dritte Säule der Prävention

Dichter, Musiker und Denker wie Cicero, Mark Twain, Winston Churchill, Albert Einstein und John Lennon hatten alle etwas gemein. Sie waren überzeugte Verfechter von Zeiten der Ruhe und liebten den Schlaf. Sie werden von den Neurowissenschaften und jüngst von der Somnologie bestätigt: Ruhepausen, Entspannung, Schlaf und Momente der Besinnung sind keine verlorene Zeit. Sie fördern Wohlbefinden, Kreativität und Leistungskraft. Ohne Zeiten der Erholung geht nichts, weder geistig noch körperlich. Ausreichender Schlaf ist neben einer ausgewogenen Ernährung und regelmäßiger Bewegung eine der drei Säulen der Präventivmedizin und ist wichtig, um vielen körperlichen (u.a. Krebs, Alzheimer, Schlaganfall) und emotionalen Störungen (Angststörungen, Depressionen) entgegenzuwirken.

Stress ist allgegenwärtig

Wir leben in komplexen Zeiten. Jeden Tag wirkt eine Vielfalt an Eindrücken, Verpflichtungen und Informationen auf uns ein und droht uns zu erdrücken. Auch wenn wir kürzer arbeiten, hat die Arbeitsverdichtung enorm zugenommen. Weniger Menschen sollen in kürzerer Zeit mehr erledigen. Die Folgen sind fatal. Der Stress, der bei solch einer Arbeitsverdichtung entsteht, führt unweigerlich zu Schlafstörungen und diese sind wiederum ein Nährboden für Stresskrankheiten.

Ein Heilmittel mit Imageproblemen

Immer erreichbar zu sein, Durchhaltevermögen und Schlafverzicht finden gesellschaftliche Anerkennung. Wer aber rasch ermüdet, schnell einnickt oder zeitig zu Bett geht, wird belächelt. Sich ausreichend Schlaf zu gönnen, gilt in der Leistungsgesellschaft als verlorene Zeit, als Luxus, den man sich allenfalls am Wochenende oder im Urlaub genehmigen darf. Dabei gilt Schlaf gemäß neuesten Studien als eines der wichtigsten Mittel, um den nächtlichen physiologischen Reparaturbetrieb zu ermöglichen. Dadurch können die negativen Folgen des chronischen Stresses etwas vermindert werden.

Warum wir Schlaf benötigen

Wir verbringen ein Drittel unserer Lebenszeit mit Schlafen. Warum? Die Schlafmedizin, die sogenannte Somnologie, ist eine junge Wissenschaft, die immer mehr an Bedeutung für das Gesundheitswesen und die Präventivmedizin gewinnt. Schlafforscher haben herausgefunden, dass im nächtlichen Schlaf ein physiologischer Reparaturbetrieb seinen Dienst aufnimmt. Im Schlaf werden Körperzellen erneuert, Muskeln wachsen, Eiweißstoffe und frisches Blut werden produziert, neue Hautzellen werden gebildet und das Immunsystem wird gestärkt. Wunden heilen im Schlaf schneller. Zudem werden vermehrt Biomoleküle erzeugt, die die sogenannten freien Radikale (zellulärer Abfall) unschädlich machen. Im Gehirn findet jede Nacht ein Frühlingsputz statt, der überschüssige Eiweiße, Fette und andere Moleküle mit Hilfe der Hirn-Rückenmarks- Flüssigkeit (Liquor) abtransportiert. Geschieht dies nicht, funktioniert die Signalverarbeitung nicht mehr reibungslos – die Konzentrationsfähigkeit sinkt, die Fehlerquote steigt, die körperliche und emotionale Belastbarkeit verringern sich und der negative Stress nimmt zu. Der Schlaf fördert zudem die Lernfähigkeit, steigert das Erinnerungsvermögen und die Konzentrationsfähigkeit, schafft positive Gefühle und stärkt das logische Denkvermögen und die Entscheidungsfähigkeit.

Schlafdauer und Körpergewicht

Studien haben nachgewiesen, dass eine verkürzte Schlafdauer (weniger als fünf Stunden pro Nacht) und eine gestörte Schlafkontinuität bei gesunden Menschen bereits nach wenigen Tagen zu einer gestörten Stoffwechsellage führt, die zu Übergewicht und Diabetes überleiten kann. Hierbei spielen mehrere körpereigene Mechanismen eine Rolle. Wer zu wenig schläft, entwickelt einen gestörten Zuckerstoffwechsel. Der Körper kann den Zucker nicht rasch genug und in ausreichender Menge aus dem Blutkreislauf entfernen und in die Muskel- und Gehirnzellen transportieren (gestörte Glukosetoleranz). Zucker wird dann vom Körper in Fettsäuren umgewandelt und im Fettgewebe gespeichert. Das Körpergewicht nimmt zu. Dabei spielt ein weiterer Mechanismus eine wesentliche Rolle. Damit Zucker aus dem Blutkreislauf in die Muskelzellen befördert werden kann, benötigt der Organismus das Hormon Insulin. Dieses wird in der Bauchspeicheldrüse gebildet. Schlafmangel führt dazu, dass die Insulinausschüttung reduziert wird, und zum anderen reagieren die Zellen nicht mehr so empfindlich auf das Insulin. Man spricht von der sogenannten Insulinsensitivität. Je niedriger sie ist, desto mehr ist das Hormon notwendig, um den Blutzuckerspiegel zu senken. Irgendwann erschöpft sich jedoch die Produktion von Insulin, und die Krankheit Diabetes (Zuckerkrankheit) stellt sich ein. Zwei weitere Hormone spielen in der Gewichtszunahme bei Schlafmangel eine zentrale Rolle. Es kommt zu einer erhöhten Ausschüttung des appetitanregenden Hormons Grehlin und einer Verminderung des Sättigungshormons Leptin. Unser Appetit auf hochkalorische Nahrungsmittel wird durch das Gaspedal (Grehlin) angekurbelt, und da das Bremspedal (Leptin) unzureichend ausgeschüttet wird, nehmen wir an Gewicht zu. Die Folgen sind wiederum Übergewicht und die damit verbundenen sekundären Gesundheitsschäden (u.a. Bluthochdruck, Diabetes, Gelenkprobleme, koronare Herzkrankheiten).

Fazit

Schichtarbeit und die zunehmende Arbeitsverdichtung führen zu Stress und mehr Lebens- und Arbeitszeit in geschlossenen Räumen. Dadurch entsteht ein zunehmender Lichtmangel, der zu Energielosigkeit, Schlaf- und Essstörungen bis hin zu schweren Depressionen führen kann. Im Büro beträgt die Lichtintensität selten mehr als 500 Lux, in der Natur hingegen zwischen 8000 und 10000 Lux. Wir sind biologisch nicht dafür geschaffen, täglich acht bis zwölf Stunden im Büro vor einem PC zu sitzen oder im Flugzeug um die halbe Welt zu reisen. Der Zwang zur Beschleunigung, die ständige Erreichbarkeit und schnelle Verfügbarkeit in einer globalisierten Welt führen zur Auflösung unserer natürlichen Schlafrhythmen. Je mehr der Einzelne von den Bedürfnissen seiner inneren Uhr abweicht, umso größer wird sein Schlafdefizit. Wir sind dazu gemacht, an frischer Luft und bei Sonnenschein oder Regen unserer Arbeit möglichst im Freien nachzugehen. Es ist höchste Zeit zum Entschleunigen. Zeiten der Stille sind Gefäße, die uns dabei helfen können, innerlich zur Ruhe zu kommen, Abstand zum Alltagsstress zu gewinnen und den erholsamen Schlaf zu fördern.

Was Sie tun können, ganz praktisch!

a) Bewegung

Regelmäßige Bewegung steigert die geistige Widerstandskraft und fördert einen gesunden Schlaf. Bauen Sie regelmäßige Bewegungsabläufe (Treppensteigen, Spaziergänge, Fahrradfahren, Gartenarbeit) in Ihren Alltag ein. Täglich eine halbe Stunde Bewegung am Stück kann bereits Wunder wirken. Sie senkt den Stresspegel, steigert das Selbstwertgefühl, sorgt für ein besseres Wohlbefinden und dient der Schlafhygiene. Wer Sport treibt, soll dabei Spaß haben. Vermeiden Sie Leistungssport und suchen Sie sich eine sportliche Aktivität, die Sie mit Freude erfüllt. Bewegung im Grünen und an der frischen Luft ist eine ganz besondere Tankstelle für Körper und Seele. Wer sich im Freien bei Tageslicht bewegt, schläft auch nachts besser.

b) Pausen

Bauen Sie bewusst Pausen und Auszeiten in Ihren Alltag und Ihre Arbeitswoche ein. Schalten Sie dabei all Ihre elektronischen Geräte ab und lernen Sie die Stille auszuhalten und zu genießen. Suchen Sie sich ganz bewusst Orte der Stille, z. B. an einem See, im Wald, auf einem Berg, in einer Kirche oder im eigenen Garten. Vermeiden Sie es, sich abzulenken oder eine Beschäftigung zu suchen. Versuchen Sie, die Leere zu akzeptieren und sie auszukosten. Dies mag zu Beginn schwierig sein, aber mit der Zeit und regelmäßiger Übung werden Sie die Früchte solcher Pausen ernten – wahre Erholung für Körper und Seele. Gönnen Sie sich zwischendurch auch ein Nickerchen und kultivieren Sie eine gesunde Schlafhygiene. Ihr Gehirn wird sich bei Ihnen dafür bedanken.

c) Schlafhygiene ganz konkret

Wenn Sie unter Ein- und Durchschlafstörungen (sogenannte Insomnien) leiden und diese nicht durch physiologische Ursachen bedingt sind, die eine medizinische Behandlung benötigen, dann sollten Sie sich an folgende Regeln halten:

  • Identifizieren Sie Stressverursacher und versuchen Sie, diese zu vermeiden oder zu eliminieren, allenfalls mit Hilfe eines Coachings oder einer Psychotherapie.
  • Trinken Sie nach dem Mittagessen keine koffeinhaltigen Getränke. Generell raten wir, möglichst auf alle Energydrinks und Kaffee-Getränke zu verzichten.
  • Vermeiden Sie Alkohol weitgehend und setzen Sie ihn keinesfalls als Schlafmittel ein.
  • Nehmen Sie keine schweren Mahlzeiten am Abend zu sich.
  • Vermeiden Sie nachmittags das Nickerchen. Sollten Sie trotzdem ein solches machen wollen, dann vor 15.00 Uhr und nicht länger als eine halbe Stunde.
  • Seien Sie regelmäßig körperlich aktiv!
  • Verringern Sie allmählich Ihre geistigen und körperlichen Anstrengungen vor dem Zubettgehen.
  • Reduzieren Sie den Gebrauch von Smartphones, PC, Tablets und Fernseher mindestens zwei Stunden vor dem Zubettgehen wegen der Reizüberflutung und der erhöhten Ausschüttung von Blaulicht in diesen elektronischen Geräten, da sie die Ausschüttung des Schlafhormones Melatonin unterdrücken.
  • Sorgen Sie im Schlafzimmer für eine angenehme Atmosphäre.
  • Benutzen Sie das Bett nur zum Schlafen, also nicht zum Lesen, Fernsehen oder Arbeiten.
  • Führen Sie ein persönliches Einschlafritual ein.
  • Schauen Sie in der Nacht weder auf den Wecker noch auf die Armbanduhr.
  • Wenn Sie unter Einschlafstörungen leiden und nach zehn Minuten immer noch wach sind, stehen Sie auf, gehen Sie in ein anderes Zimmer und lesen Sie etwas Einfaches, hören Sie ruhige Musik oder meditieren Sie. Legen Sie sich erst dann wieder ins Bett, wenn Sie müde sind.
  • Sorgen Sie dafür, dass Sie immer zur selben Zeit ins Bett gehen und zur selben Zeit aufstehen – auch am Wochenende oder in den Ferien.

Quelle: Spektrum Spezial (2009) Schlaf. Ein Phänomen und seine Störung. Heidelberg: Spektrum der Wissenschaft.

Robbie Pfandl

Psychologe

Leben & Gesundheit Ausgabe 1/2019