Lebensmittelunverträglichkeit, Lebensmittelallergie oder Reizdarmsyndrom?

„Glutenfrei“ und „Laktosefrei“

sind Beispiele von Lebensmittelangaben, die man heutzutage an vielen Produkten im Supermarkt erkennen kann. Ich frage mich, ob der Verbraucher wirklich weiß, was diese Kennzeichnungen bedeuten. Viele sehen die Angaben «frei von» als eine Aussage, dass es sich um ein gesünderes Lebensmittel handelt. Aber es handelt sich nicht unbedingt um gesündere Lebensmittel, sondern um Erzeugnisse, die besonders für Personen entwickelt wurden, die an einer Lebensmittelunverträglichkeit oder Lebensmittelallergie leiden. In der Schweiz leiden ca. 2-8 % der Bevölkerung an einer Lebensmittelallergie und biszu 20 % an Lebensmittelunverträglichkeiten.

Allergie und Unverträglichkeit

werden oft verwechselt und als gleichbedeutend verstanden, medizinisch gesehen sind es aber sehr unterschiedliche Phänomene. Bei einer Allergie gibt es eine überzogene Reaktion des Immunsystems auf Substanzen, die bei gesunden Menschen keine Beschwerden verursachen. Das Immunsystem nimmt diese Substanzen als schädlich wahr. Bei einer Allergie können die Beschwerden auch mit sehr geringen Mengen auftreten und lebensbedrohlich sein. Bei einer Lebensmittelunverträglichkeit, auch als Lebensmittelintoleranz bekannt, tauchen die Beschwerden eher bei größeren Verzehrmengen auf. Hier handelt es sich um eine eingeschränkte Verdauung einer bestimmten Substanz. Die Intoleranz ist im Gegensatz zu einer Allergie nicht lebensbedrohlich. Obwohl es zwei verschiedene Erscheinungen sind, gibt es einige Symptome, die sich überschneiden können, und diese Überschneidung gibt es auch mit Reizdarmsyndrom.

Das Reizdarmsyndrom

ist eine funktionelle Darmerkrankung, bei der die Hauptsymptome Durchfall und/oder Verstopfung sind. Stress, Ernährung und Bewegungsmangel spielen eine Rolle als Auslöser. Beispielsweise leiden in Deutschland ca. 5 % der Bevölkerung an einem Reizdarmsyndrom.

Ich glaube, ich bin betroffen

Was kann ich tun? Die Diagnose soll ein Facharzt stellen. Bei unspezifischen Beschwerden wie zum Beispiel Übelkeit, Bauchschmerzen und Blähungen ist eine Diagnose nicht so einfach, weshalb Untersuchungen wie Allergietest, Atemtest, Endoskopie (z. B. Magenspiegelung) und Darmspiegelung sehr wichtig sind. Es wird abgeraten, Lebensmittelunverträglichkeiten, Lebensmittelallergien oder Reizdarmsyndrome selbst zu diagnostizieren, da die Magen- Darm-Beschwerden andere Gründe haben können wie zum Beispiel Krebs. Die Behandlung und die individuelle diätetische Therapie sollten auch unter professioneller Anleitung erfolgen.

Die FODMAP-arme Diät

Die FODMAP-arme Diät wird jetzt als Erstlinientherapie zur Behandlung von Reizdarmsyndrom- Symptomen einschließlich Bauchschmerzen, Gas, Blähungen, Durchfall und Verstopfung erkannt. Die FODMAP-arme Diät kann auch bei Lebensmittelunverträglichkeit, Zöliakie und chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis Ulcerosa und Morbus Chron sehr hilfreich sein. FODMAP ist ein Akronym, das aus der englischen Sprache kommt (Fermentable Oligo-saccharides, Disaccharides, Mono-saccharides and Polyols). Fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide und Polyole sind kurzkettige Kohlenhydrate, die nicht resorbierbar sind und teilweise von den Darmbakterien unter Bildung störender Darmgase abgebaut werden. Die FODMAP-arme Diät vermeidet Lebensmittel, die hohe FODMAPs aufweisen. Die FODMAP-arme Diät kann durch die Linderung von Symptomen deutlich die Gesundheit und Lebensqualität von Patienten mit Reizdarmsyndrom und Nahrungsmittelunverträglichkeit verbessern3,4. Es ist eine günstige und nicht invasive (in den Körper eindringende) diätetische Maßnahme. Wenn sie professionell begleitet wird, ist sie grundsätzlich ohne Nebenwirkungen. Die erste Phase der FODMAP- Diät, niedrig in FODMAPs, soll streng 2-6 Wochen lang durchgeführt werden. Danach werden in der zweiten Phase die hohen FODMAP-Lebensmittel entweder in Untergruppen Schritt für Schritt oder nach einem «Ampel-System» wiedereingeführt, um die Auslöser zu identifizieren. Es ist zu beachten, dass die strenge FODMAP- arme Diät keine langfristige Ernährungsform darstellt, da sie langfristig eine unausgewogene Zufuhr an Nährstoffen verursachen kann. Vegetarier und Diabetiker müssen zusätzliche Faktoren beachten.

Wiedereinführung nach Untergruppen

In der zweiten Phase kann zum Beispiel Honig eingeführt werden, um die Toleranz gegenüber Fructose zu testen. Honig wird gewählt, da es ein Lebensmittel ist, das viel Fructose enthält, aber in anderen FODMAP- Untergruppen nicht hoch ist. Ein Teelöffel Honig wird pro Tag für 3 Tage eingenommen. Wenn sich die Symptome verschlechtern, sollte der Patient die Aufnahme stoppen. Alternativ, wenn der Honig keine Symptome auslöst, kann sich die Dosierung am dritten Tag auf zwei Teelöffel erhöhen und die Reaktion kann für weitere 1-2 Tage überwacht werden. Nach dem Fructose-Honig-Test sollte der Patient eine 2- bis 3-tägige Pause zur «Auswaschung» einlegen und auf der niedrigen FODMAParmen Diät verbleiben, bevor die nächste FODMAP-Untergruppe durch ein Lebensmittel getestet wird.

Wiedereinführung nach Ampel-System

Als Alternative für die zweite Phase sei die Benutzung der«Monash Uni Low FODMAP Diet App» empfohlen. Es ist eine Applikation, die von Forschern der Monash Universität entwickelt wurde und auf dem Smartphone benutzt werden kann. Hier werden die Lebensmittel mit dem Ampel-System aufgezeichnet (Grün, Gelb und Rot). «Grüne» und «gelbe» Lebensmittel können während der strengen ersten Phase verzehrt werden. In der zweiten Phase können «gelbe » Lebensmittel langsam erhöht und «rote» Lebensmittel eingeführt werden. Welche Lebensmittel sind reich an FODMAPs? Eine sehr übersichtliche Zusammenstellung finden Sie z. B. auf www.fodmaps.de/fodmap-liste/ oder, wer der englischen Sprache mächtig ist, auf der Internetseite der Monash Universität www.monash.edu/medicine/ccs/ gastroenterology/fodmap. Man kann auch die «Monash Uni Low FODMAP Diet App» kaufen. Auf www.fodmaps.de gibt es verschiedene Bücher, in denen man sich über die FODMAP-arme Diät informieren kann.

Glutenfrei

Für Personen, die unter Zöliakie oder Gluten-Unverträglichkeit leiden, ist eine glutenfreie Ernährung unverzichtbar. Es wird aber angenommen, dass ein Teil der Bevölkerung auch glutenfreie Lebensmittel verzehrt, obwohl keine Diagnose vorliegt. Die Zöliakie- Prävalenz in Deutschland liegt bei ca. 0,7 %, aber viele haben die glutenfreie Ernährungsform wegen unspezifischer Magen-Darm-Symptome oder wegen anderer medizinischer Beschwerden angenommen. Die glutenfreie Ernährung ist sehr populär geworden, aber die Gluten-Unverträglichkeit ist immer noch umstritten und sogar überdiagnostiziert. Es gibt einige Menschen, die an keiner Gluten-, sondern an einer Weizenunverträglichkeit leiden. Die Symptomüberschneidungen mit dem Reizdarmsyndrom sind noch nicht geklärt, und viele Gesundheitsangaben, die sich auf eine glutenfreie Ernährung beziehen, sind bis jetzt nicht wissenschaftlich untermauert. Warum wird aber von manchen behauptet, dass sich ihre Symptome mit einer glutenfreien Ernährung verbessert haben? Es gibt verschiedene Gründe. Es könnte auch ein Nocebo-Effekt eine Rolle spielen.

Nocebo-Effekt

Nocebo ist das Gegenteil von Placebo. Viele haben das Wort Placebo schon einmal gehört. Es kommt vom Lateinischen und bedeutet «ich werde gefallen». Ein Placebo-Effekt liegt vor, wenn jemand glaubt, dass ihm eine Substanz guttut und er sich nach deren Einnahme besser fühlt, obwohl diese Substanz keine Wirkstoffe enthält. In klinischen Studien wird oft ein doppelblindes Studiendesign verwendet, in der ein Teil der Probanden ein «Placebo» (Scheinmedikament ohne Wirkung) bekommt und der andere Teil das «Verum» (Medikament mit Wirkstoff). Dies wird gemacht, um sicherzustellen, dass die Wirkung objektiv nachweisbar ist und nicht auf subjektivem «Glauben» beruht. Nocebo kommt auch aus dem Lateinischen und bedeutet «ich werde schaden». Das heißt, es wird an eine scheinbar negative Wirkung geglaubt, die auch körperlich gefühlt wird. Wenn jemand glaubt, dass er ein bestimmtes Lebensmittel nicht verträgt, kann diese Erwartung tatsächlich unangenehme Symptome auslösen, auch wenn keine Krankheit vorliegt. Bei der Erwartung von Symptomen wie zum Beispiel Blähungen kann sich die Wahrnehmung so ändern, dass man normale Verdauungsfunktionen als ungewöhnlich empfindet.

„Sara Salazar-Winter

Geschäftsführerin Deutscher Verein für Gesundheitspflege e.V. (DVG), M.Sc. Ernährungsmedizin

Leben & Gesundheit Ausgabe 1/2018