Eine geniale Nahrung
Warum das Stillen für Babys und Mütter gut ist
Als ich Noelia zum ersten Mal in den Armen hielt, eröffnete sich für mich eine neue Welt, die mit Verantwortung für ein kleines Wesen und vielen neuen Aufgaben verbunden war. Aber auch mit viel Zeit zum Kuscheln und der neu gewonnenen Fähigkeit, meine Tochter nur mit dem zu ernähren, was mein Körper hergibt. Mein Baby mit meiner Milch zu ernähren, war für mich anfangs ein sehr seltsamer Gedanke. (Ich bin doch keine Kuh…) Aber es entwickelte sich neben meinem kleinen Baby zu einem weiteren großen Wunder, für das ich Gott sehr dankbar bin. Es erinnerte mich jeden Tag daran, dass mein Körper, den er liebevoll geschaffen hatte, in der Lage war, Leben hervorzubringen und zu ernähren. Es hat mir Kraft und Selbstvertrauen gegeben, mein Kind wachsen und gedeihen zu sehen, gestärkt durch die Nahrung, die ich ihm gebe. Stillen hat mir ein tieferes Verständnis für meinen eigenen Körper und meine Fähigkeiten als Frau gegeben. Leider ist der Weg dorthin nicht immer einfach und jede Frau hat dazu ihre eigene Geschichte.
Meine Mutter sagte mir vor der Geburt meiner Tochter, dass man sich das Stillen erkämpfen müsse und ermutigte mich, trotz anfänglicher Schwierigkeiten geduldig zu sein und es immer wieder zu versuchen. Sie hatte Recht. In den ersten Tagen nach der Geburt fühlte ich mich wie eine Versagerin. Meine Tochter war von Anfang an sehr hungrig und ich hatte zwar etwas Milch, aber der richtige Milcheinschuss kam wie bei den meisten Frauen erst nach vier Tagen. Wir mussten ihr Säuglingsnahrung mit der Spritze geben, damit sie satt wurde – ein trauriger Anblick für mich. Zumal sie von dieser Nahrung Blähungen und Bauchschmerzen bekam. Dann hatte ich endlich genug eigene Milch, aber gleichzeitig auch starke Schmerzen beim Stillen. Wenn ich eine Pause brauchte, blieb mir nichts anderes übrig, als Milch aus der Flasche zu geben. Das hatte ich mir ganz anders vorgestellt… Mit der Zeit lernten Noelia und ich gemeinsam, wie das Stillen funktioniert und welche Stillpositionen für uns beide am besten sind. Es war ein Lernprozess, der bei uns etwa fünf Wochen dauerte. Er war geprägt von vielen Tränen, viel Schokolade und Händchenhalten meines Mannes.
Wunderwerk Muttermilch
Die erste produzierte Milch, das Kolostrum, wird von manchen auch als „flüssiges Gold“ bezeichnet. Es wird nicht viel davon produziert, aber es versorgt das Baby mit einer Vielzahl von Antikörpern und weißen Blutkörperchen. Zudem hat es eine abführende Wirkung, um den ersten Stuhlgang zu erleichtern. Nach etwa zwei bis fünf Tagen setzt der eigentliche Milcheinschuss ein und die Milchmenge nimmt deutlich zu. Diese so genannte Übergangsmilch ist fetthaltiger, enthält mehr Kalorien und Laktose und entwickelt sich etwa bis zur fünften Woche weiter.
Die darauf folgende „reife Muttermilch“ mit ihrer einzigartigen Mischung aus Kohlenhydraten, Eiweißen, Fetten sowie Vitaminen, Mineralstoffen, Hormonen und anderen für das Wachstum des Babys wichtigen Bestandteilen verändert sich kaum noch. Sie kann sich aber an die besonderen Bedürfnisse des Babys anpassen. Ist das Baby zum Beispiel krank, enthält die Muttermilch mehr Antikörper. Eine geniale Idee des Schöpfers, nicht wahr?
Und je nachdem, was die Mutter gegessen hat, hat auch das Baby etwas davon – positiv oder negativ: Hat sie zum Beispiel Spinat gegessen, färbt sich die Milch leicht grünlich. Hat sie stark blähende Nahrungsmittel zu sich genommen, kann auch das Baby Blähungen (und eventuell daraus resultierende Bauchschmerzen) bekommen.
Die reife Muttermilch kann in eine Vorder- und Hintermilch unterteilt werden. Die Vordermilch ist sehr wässrig und eiweißreich – sie sättigt schnell, hält aber nicht lange an. Die Hintermilch ist dickflüssig und sehr fetthaltig – sie sättigt lange. Der Säugling erreicht die Hintermilch erst, wenn er etwa fünf Minuten an der Brust gestillt wurde. Es lohnt sich also, das Baby bei jeder Mahlzeit länger als fünf Minuten zu stillen, damit es danach länger satt ist. Am Anfang kann eine Stillmahlzeit bis zu einer Stunde dauern. Erst im Laufe der Wochen und Monate lernen die meisten Kinder schneller zu trinken.
Stillen fördert nicht nur die Entwicklung des Immunsystems und schützt vor Krankheiten, sondern stärkt auch die Bindung zwischen Mutter und Kind. Der direkte Haut- und Blickkontakt beim Stillen schafft eine Verbindung, die es uns Müttern ermöglicht, die Bedürfnisse unseres Babys intuitiv zu erkennen und zu erfüllen.
Vorstellung vs. Realität
Doch nicht immer klappt es so, wie man es sich wünscht und vorstellt. Viele Frauen wollen stillen, können aber aufgrund von Hormonstörungen, Milchmangel oder Brustentzündungen nicht stillen. Zudem ist die Milchbildung sehr empfindlich und reagiert auf Störfaktoren. So kann es zum Beispiel bei anhaltendem Stress im Alltag im schlimmsten Fall zu einem Milchstau mit Fieber und Schüttelfrost kommen. Manche Babys vertragen die Muttermilch nicht oder haben Schwierigkeiten beim Saugen. In jedem Fall ist die Beratung durch eine Hebamme wichtig und hilfreich, und auch fertige Säuglingsnahrung aus der Flasche kann (übergangsweise oder langfristig) helfen. Und Fläschchen bedeutet nicht, dass das Baby allein irgendwo liegt und selbstständig trinkt, sondern auch dabei können Mutter und Kind intime Momente miteinander verbringen und ihre Bindung stärken. Ein weiterer Vorteil ist, dass auch Papa oder Oma in diesen Kuschelgenuss kommen und gleichzeitig die junge Mama entlasten können.
Ich hatte mir vorgenommen, mein Baby mindestens 1 ½ Jahre zu stillen, so wie meine Mama mich gestillt hat. Grundsätzlich war das sicher ein guter Plan, aber Noelia hatte mit sieben Monaten plötzlich keine Lust mehr auf das Stillen. Sie hat sich gewehrt und geschrien – sie wollte einfach lieber Brei essen. Manche guten Vorsätze lassen sich nur schwer in die Tat umsetzen, weil sich unser Kind nicht nach unseren Vorstellungen drängen lässt. So kann eine Frau beim zweiten oder dritten Kind zwar ihre Vorerfahrungen in den Stillprozess einfließen lassen, muss aber unter Umständen jedes Mal einen neuen Weg finden. Jedes Kind ist ein Individuum mit eigenen Vorlieben und Bedürfnissen.
Manche Kinder
- wollen stündlich an die Brust angelegt werden, nur alle drei Stunden.
- trinken nur, wenn die Mutter sitzt oder liegt.
- möchten in den Schlaf gestillt werden, andere begnügen sich mit einem Schnuller.
- brauchen die Milch, bis sie zwei Jahre alt sind, anderen genügen sechs Monate.
Als Eltern findet man all das gemeinsam mit dem Kind heraus.
Eine persönliche Entscheidung
Stillen sollte nicht als Pflicht oder Ideal angesehen werden, das jede Mutter erfüllen muss. Dies führt zu unnötigem Druck in einer ohnehin aufregenden Zeit. Es ist vielmehr eine persönliche Entscheidung, die auf den individuellen Bedürfnissen von Mutter und Kind beruht und niemals leichtfertig getroffen wird. Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft offen über das Stillen sprechen können – ohne Scham, Schuldgefühle oder Vorurteile. Und unabhängig davon, ob eine Mutter stillt oder nicht, ist es wichtig, dass wir ihre Liebe zu ihrem Kind nicht daran messen, sondern sie in ihrer Entscheidung respektieren und auf ihrem Weg unterstützen.
Quellenverzeichnis
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