Entscheidungen- wie selbstbestimmt sind wir eigentlich?

«Ich will heute die dunkle Jeans anziehen» oder «Ich will jetzt gern mit Knete spielen, mit der grünen» – solch klare Entscheidungen kann und will unsere 3-jährige Tochter bereits ganz allein treffen. Das bedeutet: Sie hat in ihren jungen Jahren bereits gelernt, was es heißt, mehrere Optionen zu haben und davon eine auszuwählen.

Was in der frühen Kindheit beginnt, begleitet uns unser ganzes Leben. Es vergeht kein Tag, an dem wir keine Entscheidungen treffen. Aber wie ist das eigentlich mit den Entscheidungen in unserem Leben – wie viele treffen wir täglich und wie gehen wir dabei vor? Zerbrechen wir uns über jede einzelne den Kopf oder entscheidet «unser Bauch», oder vielleicht sind wir gar nicht so selbstbestimmt, wie wir meinen? Welche Rolle spielen unsere Prioritäten?

Unbewusst und Gewohnheitsmäßig

Wenn wir uns mit diesem Thema auseinandersetzen, ist es wichtig zu wissen, dass wir die allermeisten Entscheidungen unbewusst und gewohnheitsmäßig treffen. Forscher haben herausgefunden, dass wir täglich zwischen 20 000 und 35 000 Mal etwas entscheiden, je nachdem welche Studie wir als Anhaltspunkt nehmen. Dazu gehören z. B. die Entscheidung fürs Aufstehen nach dem Klingeln des Weckers oder die Frage, was wir anziehen, sowie viele andere «Blitzentscheidungen» in unserem Alltag. Da ist es klar, dass es nicht möglich ist, jede einzelne Tat bewusst zu überdenken. Es gibt kleine und große Entschlüsse, solche mit kurzfristigen, aber auch weitreichenden Folgen.

Entscheidungen rational …

Ein typisches Beispiel für eine (normalerweise) rationale Entscheidung ist ein Autokauf: Man informiert sich über die Angebote, vergleicht dabei nicht nur den Preis, sondern auch den Kilometerstand, die PS, das Baujahr, die Farbe und andere Kriterien, die man für sich selbst als wichtig definiert hat (Stichwort «Prioritäten»). Vielleicht erstellt man sogar eine Pro- und Contra- Liste, um sich dann für das geeignetste Auto zu entscheiden.

… oder aus dem Bauch heraus?

Listen zu erstellen ist uns aber meist zu aufwändig. Deshalb treffen wir Entscheidungen oft intuitiv, «aus dem Bauch heraus». Dabei ist es falsch, unserem Gefühl zu unterstellen, keine rationalen Aspekte miteinzubeziehen. Das geschieht sehr wohl, aber das läuft unbewusst und aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen ab. Die Regeln, denen die intuitiven Entscheidungen folgen, nennen Wissenschaftler Heuristiken.

Heuristiken- unsere Faust- oder Daumregeln

Wenn man uns fragte, würden wir wohl durchaus behaupten, dass wir in unseren Wahlmöglichkeiten sehr frei sind. Doch tatsächlich werden viele unserer Entscheidungen von sogenannten Heuristiken bestimmt, schon fast eine Art «Auto-Modus», den wir nur zu gern einschalten, ohne das genau zu hinterfragen. Heuristiken definieren sich als mentale Strategien, die uns helfen, Urteile zu fällen und Entscheidungen zu treffen, besonders wenn uns wenig Zeit oder begrenztes Wissen zur Verfügung steht. Sie sind wie Faustregeln, die uns bei einer Entscheidung unterstützen, wobei die Komplexität der Umwelt auf einfache Regeln beschränkt wird. Dadurch werden wir für Fehler anfällig. Allein das Wissen darüber kann uns helfen, diese zu vermeiden und bewusst selbstbestimmt zu bleiben. Das hört sich theoretisch an? Dann möchte ich jetzt drei verschiedene Heuristiken an praktischen Beispielen vorstellen:

Verfügbarkeitsheuristik

Stellen Sie sich vor, Ihnen wird ein kurzer Textabschnitt vorgelegt. Glauben Sie, dass darin mehr Wörter enthalten sind, die mit dem Buchstaben k anfangen (wie Kind) oder bei denen sich der Buchstabe k an dritter Stelle befindet (wie Imker)? Wenn es Ihnen so geht wie den Teilnehmern einer Studie, dann meinen Sie Ersteres. Das hat damit zu tun, dass wir in unserem Gedächtnis mehr Wörter mit einem k am Anfang zur «Verfügung» haben als Wörter, die ein k an der dritten Stelle haben. In der Realität gibt es aber das k an dritter Stelle in einem Wort viel häufiger. Eine weitere Taktik, nach der wir gerne vorgehen, ist die

Repräsentativitätsheuristik

Dabei nehmen wir an, dass jemand zu einer Kategorie gehört, (nur) weil wir Eigenschaften sehen, die für die Mitglieder einer Kategorie als typisch gelten. Zum Beispiel würden wir uns vermutlich zutrauen, einen Mitarbeiter aus dem Marketing von einem Buchhalter zu unterscheiden. Solche Stereotype sind oft hilfreich, aber auch problematisch, wenn wir Personen aufgrund des Alters, des Geschlechts, der ethnischen Herkunft oder anderer Äußerlichkeiten fälschlicherweise in eine Personengruppe einordnen. Besonders spannend und bemerkenswert ist schließlich die

Ankerheuristik

Diese Denkabkürzung verwendet jegliche verfügbare Information aus der Umwelt als Hilfe, sozusagen als Anker, für ein Urteil oder eine Schätzung. Dabei gibt es zwei Ankerformen: Adjustment (Anpassung) und Priming (Ersteindruck).

Adjustment und Priming

Beim Adjustment wird ein Anker als Ausgangspunkt für einen bewussten Gedankengang gesetzt. In einer Studie wurde die eine Gruppe gefragt, ob sie bereit wäre, 5 $ für die Rettung von Seevögeln bei einer Ölpest zu geben, die andere Gruppe, ob sie 400 $ geben würde. Der gegebene Ausgangspunkt beeinflusste dabei die Spendenbereitschaft stark: Während der hohe Anker von 400 $ in eine durchschnittliche Spendenbereitschaft von 143 $ mündete, war die durchschnittliche Spendenbereitschaft bei dem Anker von 5 $ nur 20 $. Beim «Priming» wird ein Anker unbewusst (suggestiv) gesetzt und ruft Gedankengänge hervor. Es beschreibt die subtile Beeinflussung unseres Denkens. Man kann es sich wie eine «Denkrinne» vorstellen, die unseren Gefühlszustand, die Gedanken und auch unser Verhalten beeinflusst. Zum Priming gibt es viele spannende Experimente in der Psychologie. Werden Menschen beispielsweise an ein beschämendes Erlebnis erinnert, steigt das Bedürfnis, sich zu waschen. Oder wenn Versuchspersonen eine ganze Reihe von Wörtern zu lesen bekamen, die mit dem Thema «Altern» assoziiert sind, bewegten sie sich im Anschluss langsamer als Personen der Kontrollgruppe. Priming passiert heutzutage auch stark durch unseren Medienkonsum und kann durch Werbung und Idole/Influencer stark gesteuert werden.

Entscheidungen treffen – und das wohlüberlegt

Bevor wir daher wichtige Entscheidungen treffen, sollten wir uns genau überlegen oder sogar notieren, in welchem Rahmen sich diese bewegen sollten und was uns dabei wichtig ist. Wenn wir dann im Laufe der Entscheidungsfindung das Gefühl bekommen, dass der Rahmen nicht haltbar ist, sollten wir keine sofortige Entscheidung treffen, denn dieser Eindruck kann beispielsweise durch Priming entstanden sein. Sehen Sie sich daher mit Abstand nochmals alle Argumente an, die für oder gegen Ihre vorherige Einschätzung sprechen.

Um bewusst gute Entscheidungen

treffen zu können, hilft es auch, sich über seine Prioritäten klar zu werden. Wenn solche festgesetzt werden, werden damit grundlegende Entscheidungen getroffen, die uns bei zukünftigen Fragen helfen können. Kennen Sie die Werte und Prioritäten, die Ihr Leben und Ihre Handlungen bestimmen? Sie sollten sich darüber Gedanken machen! Schreiben Sie Ihre Werte, von denen Sie Ihr Denken und Handeln bestimmen lassen wollen, ruhig einmal auf ein Blatt Papier!

Machen Sie sich bewusst, was Ihre Ziele sind. Erweitern Sie Ihren Horizont und behalten Sie im Blick, was Ihnen langfristig guttut. Verschieben Sie nichts, denn dann besteht die Gefahr, dass Sie wichtige Entscheidungen anderen – oder sogar dem Zufall – überlassen. Fehlende oder falsche Prioritäten können dazu führen, dass man unwichtigen Kleinigkeiten in der Praxis den Vorrang einräumt und Wichtiges dabei auf der Strecke bleibt.

Übung für den Alltag

Nehmen Sie sich an jedem Abend Zeit, um die wichtigsten 5–10 Aufgaben für den nächsten Tag festzulegen. Das hilft Ihnen nicht nur, in der Nacht Ihre Gedanken besser ruhen zu lassen, sondern auch, am nächsten Morgen bewusst in den Tag zu starten und ihn gemäß Ihren gesetzten Vorgaben zu gestalten. Zusätzlich verhindert es den abendlichen Frust, den ganzen Tag «alles und nichts» gemacht zu haben, weil man sich bei den vielen Aufgaben verzettelt hat.

Entscheidungen glücklich treffen

Wenn wir wichtige Entscheidungen zu treffen haben, sollten wir sicherstellen, in einer positiven Grundstimmung zu sein, da wir dann bei Bedarf kreativer vorgehen können und generell unseren Handlungsspielraum größer einschätzen. Oft haben wir das Gefühl, dass wir uns zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden müssen, nach dem Motto: «Man kann nicht beides haben». Versuchen Sie – je nach Lage – kreativ zu werden und eine «Sowohl-als-auch- Lösung» zu suchen. Und: Sobald Sie eine Entscheidung getroffen haben, belassen Sie es dabei! Verschwenden Sie keine Energie ans Grübeln: «Was wäre, wenn?». Das blockiert nur Ihr Denken und damit weitere Entschlüsse.

Ich wünsche Ihnen viel Freude und Erfolg beim aktiven und bewussten Treffen von Entscheidungen, die Ihr Leben so gestalten, wie Sie es wollen!

Judith Leitner

BSc Psychologie

Leben & Gesundheit Ausgabe 3/2021