Wie lernen Kinder und Erwachsene den maßvollen Umgang mit Medien?

Klare Vorteile!

Keine Frage, die digitalen Medien haben unser Leben auf der einen Seite ziemlich erleichtert. Zunächst war es der PC, das Notebook oder das Tablet. In den letzten Jahren kam auch noch das Smartphone hinzu. Mit diesem geht ja inzwischen fast alles sogar unterwegs auf der Straße oder im Auto. Es hilft mir, mit meinem guten Freund in Kanada per WhatsApp kostenlos zu telefonieren, 1000 andere Freundschaften über Facebook mit neuen Posts zu pflegen oder durch Google Maps meinen Weg zur nächsten Tankstelle zu finden.

Zu viele Stunden täglich!

Auf der anderen Seite merken wir trotz aller wunderbaren Möglichkeiten der neuen Medien, wie unsere Zeit immer mehr ein Opfer der steigenden Mediennutzung wird. In der Schweiz liegt die durchschnittliche Dauer bei sechseinhalb Stunden täglich. Wenn wir im Alltag acht Stunden arbeiten müssen, fragt sich, welche Zeit wir dafür opfern wollen. Die Medienkonzerne (Facebook, Snapchat, Youtube, Google, Netflix) wissen schon lange, dass sie sich in einem «Wettrennen um unsere Aufmerksamkeit » befinden. Vor allem der Schlaf ist ihr größter Feind, den man mit raffinierten Methoden aus der Spiel- und Suchtforschung zu bekämpfen versucht. Vor Kurzem sind im Silicon Valley führende Strategen von Google, Facebook und Co. Aus dem System ausgestiegen, um nun als ehemalige Insider das «Center for Humane Technology » zu gründen. Ihr Ziel ist es, vor allem Kindern und Jugendlichen zu helfen, die Gefahren dieser Technologien zu erkennen. Auf ihrer Seite www.humanetech.com heißt es: «Unsere Gesellschaft wird von der Technologie in Geiselhaft genommen ». Diese Geiselhaft zeigt sich aber nicht nur in der verlorenen Zeit, sondern kann, wie man inzwischen nicht nur aus Laborstudien, sondern aus neuesten gesellschaftlichen Entwicklungen sieht, auch zu unterschiedlichen Krankheiten führen. Zum Beispiel sind in Südkorea inzwischen 80-90 % der Kinder kurzsichtig, weil sie von klein auf stundenlang auf die Monitore ihrer Smartphones schauen. Schon 2004 hat der renommierte Medienpsychologe Peter Winterhoff-Spurk im Fall des Fernsehens nachgewiesen, dass Vielseher im Gegensatz zu denen, die wenig fernsehen, zunehmend psychisch krank werden. In seinem Buch «Kalte Herzen» alarmierte er die Leserschaft, dass die Vielseher (also Menschen, die drei oder mehr Stunden täglich glotzen) zunehmend selbstbezogener, erregbarer und von anderen beeinflussbar werden (histrionische Persönlichkeitsstörung). Wie können wir also mit einem maßvollen medialen Umgang körperlich und seelisch gesund bleiben? Im Folgenden möchte ich drei einfache, aber praktisch unterstützende Tipps geben, die uns schon von Kindheit an helfen können, eine gesunde Beziehung zu den Medien zu entwickeln.

Lernziel 1: Medien als Werkzeuge sehen lernen

Schon im Schul- oder Vorschulalter sollten Kinder die Medien nur als Werkzeuge kennenlernen. Grundsätzlich warne ich im Vorschulalter vor jeglichem Mediengebrauch. Die psychologischen und neurobiologischen Begründungen möchte ich an dieser Stelle aussparen. Aber wenn ein Kind mit fünf Jahren Medien in die Hand bekommen sollte, dann nur als Werkzeug. Wie meine ich das? Ein Kind hat im Alter von fünf Jahren noch keine Fähigkeiten, sich in eine rational-kritische Auseinandersetzung über die Gefahr von Medien hineinzudenken. Aber es lernt sehr stark im Erleben und Beobachten. Diesen Lernmechanismus kann man in Bezug auf die Medien nutzen. Das Kind kann z. B. lernen, dass Medien zunächst einmal Werkzeuge sind, die uns helfen, etwas, was wir mit unseren Sinnen nicht so gut erfassen können, aufzunehmen:

  • Wenn das Kind gerne singt oder Musik macht, kann es ein Aufnahmegerät bekommen, z. B. einen MP3 Player, mit dem es sich aufnehmen und wieder hören kann.
  • Wenn wir in die Natur gehen, kann man eine Fotokamera mitnehmen, um Bilder von Blumen oder – mit Makrofunktion – auch kleine Insekten wie Ameisen und Bienen aufzunehmen und später auf dem Fernseher zu bewundern.
  • Während einer Familienfeier kann das Kind je nach Interesse auch helfen, einige Bilder oder Videos zu machen.
  • Man kann auch eine Endoskop- Kamera günstig kaufen, um mit dem 4mm Schlauch in die unterirdischen Kanäle oder in Baumverstecke unterschiedlicher Insekten zu gelangen.
  • Es ist aber auch möglich, eine Nachtsichtbrille oder ein Stereo-Mikroskop (-Lupe) zu besorgen, um in der Natur Geschöpfe zu sehen, die man sonst nicht erblickt.

Durch diese Übungen können die Kinder frühe positive Eindrücke erhalten und erkennen, dass die Medien in erster Linie als Werkzeuge dienen, durch die wir besser hören und sehen können. Diese sind gewissermaßen medientechnische Erweiterungen unserer Sinne, genau das Gegenteil von dem, was die meisten Kinder früh lernen: Medien sind Berieselungsmaschinen. Sie haben uns im Griff und nicht wir sie, genau das, worauf die Medienkonzerne mit allen Tricks aus sind. Hier kann jedoch früh ein Gegentrend ins kindliche Gehirn verpflanzt werden. Dies sollte auch klar als Wert kommuniziert

werden. Für all diese Tätigkeiten sollte man aber nicht das Smartphone nehmen, sondern spezialisierte mediale Geräte: Kameras, Audiogeräte usw., da die Kinder sonst das Smartphone so früh wie möglich besitzen wollen. All diese Übungen werden aber wenig Erfolg bringen, wenn die Eltern selbst permanent als Modell darauf hinweisen, dass das wichtigste Tagesereignis für sie die Berieselung durch Fernsehen oder Videospiele ist oder das Smartphone der ständige Begleiter aller Lebenssituationen.

Lernziel 2: Systemisch finales Denken fördern

Was viele Jugendliche und Erwachsene heute leider nicht verstehen, ist die Tatsache, dass unser Medienkonsum auf unsere Lebenspraxis Auswirkungen hat. Nicht nur zeitliche, sondern auch gesundheitliche oder soziale. Vieles zeigt sich erst nach Jahren. Die südkoreanischen Kinder sind nicht von heute auf morgen kurzsichtig geworden. Kalte Herzen entstehen nicht über Nacht, sondern nach Jahren, aber dann sind sie schwer zu verändern. Kindern im Vorschul- oder Grundschulalter kann man diese Gesetzmäßigkeiten bezüglich der Medien nicht so gut erklären. Es bedarf anderer Lerninhalte, in denen sie diese zwei Lebensweisheiten lernen. Dazu gibt es unterschiedliche Möglichkeiten:

    Das Kind sollte so früh wie möglich eigene Erkenntnisse darüber gewinnen, wie Ursache und Wirkung in der Natur zusammenhängen, indem man es unter Anleitung z. B. in einem kleinen Beet mehrere Sonnenblumen, Tomaten oder Salat pflanzen lässt und dann bei dem einen Streifen gute Erde nimmt und alles mit genug Wasser versorgt, während man den zweiten Abschnitt einer schlechten Erde ohne Wasser überlässt. Pädagogisch wichtig dabei ist, dass man mit den Kindern überlegt, warum das eine gewachsen ist und das andere nicht. Das Kind wird das Prinzip von Ursache und Wirkung (Samen einpflanzen), den Systemaspekt (Erde, Sonne, Wasser) und die finalen Langzeitfolgen (Ernte / keine Ernte) verstehen lernen. Man kann weiter zeigen, dass es Negatives gibt, das die Saat angreifen kann. Es gibt Schädlinge oder Parasiten, welche die Pflanze zerstören können.
    Man kann aber auch bei dieser Übung lernen, wie man mit an sich guten Dingen, aber dem falschen Maß die Ernte vernichten kann. Wenn man den Samen beispielsweise mit zu viel Wasser gießt oder ihn zu stark der Sonne aussetzt.

Einige Jahre später kann man diese verstandenen grundlegenden Naturgesetze auf die Medien übertragen. Was man in sich hineinlässt, wird in mir bleiben und mich langsam, aber sicher verändern! Manches zeigt sich erst Jahre später. Ein Zuviel auch an guten Inhalten kann mich aus der Bahn werfen und unglücklich machen. Genau auf dieses letztgenannte Prinzip weisen die Aussteiger von Facebook und Google auf ihrer Seite «Humanetech» hin: Wenn man z. B. 22 Minuten täglich in Facebook ist, kann man glücklich sein, wenn man dagegen 59 Minuten drin ist, wird man unglücklich (siehe Grafik). Wie die Grafik zeigt, liegt das Geheimnis für gesunde Mediennutzung im richtigen Maß. Die Kinder sollten die Prinzipien des Maßes vorher durch einfache Übungen in der Natur eingeübt und verstanden haben.

Lernziel 3: Die Ethik muss die Inhalte und das Maß bestimmen

Nach meiner Erfahrung liegen die größten Auseinandersetzungen bei Kindern und Erwachsenen im ethischen Bereich. Die Filmemacher, Entwickler von Videospielen und Werbestrategen wissen genau, dass die einfachste Methode, Einschaltquoten und Verkaufszahlen zu steigern, darin liegt, dass man die negativen Reize erhöht. Der Mensch ist schon von klein auf nicht mit dem moralisch Guten, sondern auch durch das moralisch Negative sehr schnell zu beeindrucken. Irgendwie besitzt das Negative die Macht, unsere Aufmerksamkeit blitzschnell zu fesseln. Als vor wenigen Jahren das Videospiel GTA5 auf den Markt kam, hat es innerhalb von drei Tagen den Rekordumsatz von einer Milliarde Dollar gebrochen. In diesem Spiel geht es aber nicht nur ums Autofahren, sondern um einige sehr realistische Folterszenen, die der Spieler am Opfer durchführen muss. Wie sich die öffentliche Moral verändert, konnte man in Deutschland 2018 beim Skandal um die Verleihung des Musikpreises «Echo» sehen, der für Musik mit judenfeindlichen Textzeilen vergeben wurde. Aber wie können wir die moralische Sensibilität schon im Kindes- und Jugendalter fördern?

    Eine Möglichkeit besteht darin, auf der Basis des zweiten Lernziels (s. oben) die Prinzipien von Saat und Ernte auf die Ethik zu übertragen. Dies kann am besten erreicht werden, wenn in einem Alter ab 10/11 Jahren begonnen wird, mit den Heranwachsenden über Gerechtigkeit zu sprechen. Die meisten Jugendlichen reden gerne über dieses Thema. In diesem Alter haben sie ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür. Wenn man Kinder fragt, was oder wen sie in der Schule als ungerecht empfinden, wird man sehr schnell zu ihrem Gerechtigkeitssinn vorstoßen. Man kann in einer Gruppe die wichtigsten Grundsätze einer gerechten Welt definieren lassen. Dann überträgt man dieses Prinzip auf die Medien und lässt die Heranwachsenden erzählen, was sie gut und nicht gut finden. Im letzten Schritt kann man das Lernziel in Erinnerung rufen und darüber diskutieren, ob Medieninhalte in unserem Gehirn Einfluss auf unser Fühlen und Denken sowie auf unsere Moral ausüben.
    Eine weitere Möglichkeit bietet sich bei religiös Heranwachsenden im Religionsunterricht. Nach der vorherigen Übung können biblische Texte herangezogen werden, wie z. B. aus dem Neuen Testament der Galaterbrief und dort Kapitel 5, die Verse 19- 24. Dort werden zwei unterschiedliche Verhaltensweisen beurteilt. Nachdem man im Religionsunterricht in der Schule, Kirche oder zu Hause die einzelnen Begriffe erklärt und auf einer Tafel oder einem Zettel gegenübergestellt hat, bittet man die Jugendlichen, nun ihre Filme, Musikvideos und andere mediale Inhalte mitzubringen und anhand dieser ethischen Kategorien kritisch einzuordnen.

Auf diese Weise lernen die Jugendlichen, ihr Medienverhalten mit ihren eigenen moralischen oder sogar religiösen Überzeugungen in Zusammenhang zu bringen. Man muss ihnen gar nicht sagen, was gut und schlecht ist. Nach meiner Erfahrung definieren sie das in der Regel selbst richtig. Nicht selten werden sie nach solchen Übungen und Gesprächen sowohl ihre Inhalte als auch das Maß mancher Inhalte verändern.

Dr. phil. Bojan Godina

Coach und psychologischer Berater

Leben & Gesundheit Ausgabe 5/2018