Süße ohne Reue- Zucker und Alternativen unter der Lupe
Zuckerkonsum in der Schweiz
Der Zuckerkonsum hat in den vergangenen Jahren weltweit zugenommen. Die Schweiz ist dabei das Land mit den größten Zuckerliebhabern. Ein Schweizer verzehrt pro Jahr im Durchschnitt fast genauso viel raffinierten Zucker wie Kartoffeln! Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt eine Menge von bis zu 25 g Haushaltszucker am Tag. Der Durchschnittsbürger nimmt jedoch mehr als 111 g täglich zu sich! Doch nicht nur der Zuckerkonsum hat in den vergangenen Jahren weltweit zugenommen. Auch Krankheiten wie Diabetes mellitus (umgangssprachlich: Zuckerkrankheit), Herz- und Blutgefäßkrankheiten, Übergewicht, Alzheimer und andere sogenannte Zivilisationskrankheiten sind deutlich häufiger geworden. Besteht vielleicht ein Zusammenhang?
Der Zuckerkreislauf
Was passiert bei einem gesunden Menschen, wenn Zucker im Körper auftaucht? Wenn Sie einen natürlich vorkommenden Zucker, zum Beispiel eine Handvoll Erdbeeren in Ihren Mund stecken, werden die zerkauten Nahrungsbestandteile über die Speiseröhre in Ihren Magen und von da in den Dünndarm wandern. Dort werden zuallererst die Zuckermoleküle resorbiert – d.h. sie müssen die Darmwand passieren, um dann durch das Blut zu den einzelnen Körperzellen und Organen zu gelangen. Vor Ihrer kleinen Mahlzeit befand sich Ihr Blutzuckerspiegel auf etwa 80 bis 100 mg pro 100 ml Blut (Normalwert). Er steigt nun langsam auf 120 bis 150 mg an, und die Bauchspeicheldrüse wird angeregt, Insulin auszuschütten. Das ist ein Hormon und hat die Aufgabe, Ihren Blutzuckerspiegel zu senken, damit er sich wieder auf den Ursprungswert einpendelt. Damit unsere Organe ihre Arbeit verrichten können, brauchen sie Energie. Insulin befördert den Zucker in Form von Glukose in unsere Körperzellen, die daraus Energie herstellen können. Damit Insulin Zucker abliefern kann, muss es sich irgendwie an der Zelloberfläche festhalten können. Dafür gibt es Rezeptoren, also Schlüssellöcher, in die nur die Insulinmoleküle passen. Erst wenn Insulin diese Schlösser aktiviert, können die Körperzellen Zucker tanken. Das führt dazu, dass der Blutzuckerspiegel sinkt bzw. die gelieferte Energie ankommt und verwertet wird. Würde Insulin unkontrolliert weiter Zucker aus dem Blut in die Zellen schleusen, wären wir innerhalb kürzester Zeit unterzuckert. Doch die Bauchspeicheldrüse stoppt die Insulinausschüttung, sobald sich der Blutzuckerspiegel wieder eingependelt hat. Ein großartiger Vorgang! Folgt nach einigen Stunden die nächste Mahlzeit, beginnt der Kreislauf von vorne. Wenn es aber ein wenig länger dauert, sorgt Glukagon dafür, dass Ihre Zellen weiter Energie bekommen. Das Hormon signalisiert der Leber, dass sie aus ihren Speichern wieder Glukose freisetzen soll, um Zeiten der Energieknappheit zu überbrücken.
Zucker ≠ Zucker
Wenn Sie Früchte essen, trifft der Zucker nie pur im Darm ein, sondern in Begleitung von Vitaminen, Ballaststoffen und lebenswichtigen Mineralien. Einige Begleitstoffe helfen bei der Umwandlung von Zucker in Energie, und andere wirken wie Bremsklötze an den Zuckermolekülen, denn sie sorgen dafür, dass diese langsam ins Blut übergehen. Ähnlich ist es mit langsamen Kohlenhydraten – komplex aneinander gereihten Zuckermolekülen –, die erst Schritt für Schritt in einfache Zucker (Glukose) aufgespalten werden müssen, bevor sie vom Körper aufgenommen werden können und dadurch auch für einen langsamen Blutzuckeranstieg sorgen. Was passiert aber, wenn purer, isolierter Zucker in Ihren Körper kommt? Der Zucker gelangt ungebremst ins Blut und löst dort einen regelrechten Zuckerschock aus. Der Blutzuckerspiegel schießt in die Höhe, die Bauchspeicheldrüse muss sehr schnell
sehr große Mengen Insulin ausschütten, damit sich der Blutzuckerspiegel möglichst schnell wieder normalisiert. Das führt zu starken Blutzuckerschwankungen, die den Körper auf Dauer belasten. Die Bauchspeicheldrüse wird überfordert und kann irgendwann nicht mehr genügend Insulin produzieren. Der Blutzuckerspiegel sinkt nicht mehr auf seinen normalen Wert, und auf Dauer werden die Zellen insulinresistent. Ein Diabetes mellitus Typ 2 (Zuckerkrankheit) ist oft die Folge. Die Wirkung eines Lebensmittels auf den Blutzuckerspiegel wird mit Hilfe eines bestimmten Parameters gemessen: dem glykämischen Index. Kohlenhydrate bzw. Zuckerarten gelten als umso gesünder, je niedriger ihr glykämischer Index ist. Reine Glukose zum Beispiel hat den höchsten glykämischen Wert (GI) von 100, Weißmehlprodukte liegen bei 70 bis 85, Schokolade oder Cola bei 70. Während Vollkornprodukte aus ganzem Korn bei einem GI von 50 liegen, befinden sich die meisten Hülsenfrüchte, Gemüse und Obstsorten deutlich darunter. Lebensmittel mit einem GI unter 50 üben eine sanfte Wirkung auf den Blutzuckerspiegel aus.
Zucker versteckt sich überall
Ein Grund, warum wir so viel Zucker zu uns nehmen, ist seine Allgegenwart in industriell hergestellten Erzeugnissen. Unser Geschmack gewöhnt sich daran, teils von Kindheit an. Laut einigen Untersuchungen kann Zucker sogar süchtig machen. Wenn man sich vor diesem Hintergrund die Zutatenlisten durchliest, entdeckt man Dinge, die man nicht entdecken möchte: Viele Brote, Brotaufstriche, Fruchtjoghurts, Instant- Kaffees, sogar Ketchup und Currywurst oder manch ein vegetarischer Fleischersatz kommen nicht ohne den süßen Inhaltsstoff aus. Dabei tarnt er sich mit harmlos erscheinenden Begriffen wie Glukose-Fruktose Sirup, Dextrose, Maltose, Laktose, Dextrin, Süßmolkenpulver, Gerstenmalzextrakt oder Fruchtsüße.
Zuckeralternativen?
Vielleicht fragt sich der eine oder andere jetzt: «Ja, wie soll ich denn den nächsten Geburtstagskuchen oder das Dessert süßen?» Während die Verwendung von ganzen Früchten mit Abstand die beste Zuckeralternative darstellt, gibt es auf dem Markt eine ganze Reihe von Zuckerersatzstoffen, die oft als gesunde Alternative zu Zucker vermarktet werden. Zu den bekanntesten gehören Honig, Dicksäfte von Agaven, Äpfeln, Birnen oder Trauben, Ahornsirup, Dattelzucker, Stevia, Xylit, Erythrit und Süßstoffe. Honig zählt zu den wenigen komplett naturbelassenen Zuckeralternativen. Er enthält wichtige Vitamine & Mineralstoffe, und ihm wird eine leichte antibakterielle Wirkung zugeschrieben. Allerdings hat er einen ziemlich hohen Zuckeranteil und sollte daher nicht als Hauptnahrungsmittel dienen. Dicksäfte werden aus dem Saft von verschiedenen Obstsorten oder Agaven gewonnen, der durch spezielle Herstellungsverfahren eingedickt wird. Sie enthalten zum Teil einige Mineralstoffe, Spurenelemente und gesundheitsfördernde Pflanzenstoffe. Jedoch haben sie einen hohen Fruchtzuckergehalt (Fruktose) und sollten daher auch nicht in großen Mengen verzehrt werden. Eine hohe Fruchtzuckeraufnahme kann ähnliche Effekte wie Haushaltszucker haben und außerdem bei übermäßigem Verzehr bei einigen Menschen Verdauungsprobleme verursachen. Ahornsirup wird aus dem Saft der Stämme des Zuckerahorns gewonnen, der durch Erhitzen eingedickt wird. Er ist nicht ganz so süß wie Haushaltszucker und besitzt trotz seines hohen Zuckeranteils Mineralstoffe wie Kalium, Eisen und Magnesium. Dattelzucker wird aus ganzen Datteln hergestellt, die getrocknet und anschließend pulverisiert werden. Er ist eine Zuckeralternative mit wenigen Verarbeitungsschritten und der Verwendung der ganzen Frucht. Dadurch gehört Dattelzucker aktuell zu den gesündesten Zuckeralternativen.
Süßstoffe
hergestellt und verstecken sich unter medikamentenähnlichen Namen wie Aspartam, Acesulfam, Saccharin, Sucralose oder Cyclamat. Sie sind in ihrer Süßkraft viel stärker als Zucker, aber von ihrer chemischen Struktur her keine echten Zucker. Wissenschaftler des Weizmann-Instituts fanden heraus, dass Süßstoffe den Glukosestoffwechsel stören und das Körpergewicht erhöhen können, was wiederum ein Risiko für Diabetes darstellt. Solche Risiken durch Süßstoffe werden seit ihrer Entstehung immer wieder heiß diskutiert. Da unser Körper mit Sicherheit keine Süßstoffe braucht, ist die beste Empfehlung, sie zu meiden und damit möglichen Gesundheitsrisiken aus dem Weg zu gehen. Xylit wird manchmal auch als Birkenzucker verkauft, was ein etwas irreführender Name ist, da Xylit in einem aufwendigeren Verarbeitungsprozess entsteht und aus den unterschiedlichsten Holzarten gewonnen werden kann. Er zählt zu den Zuckeraustauschstoffen und ist auch für Diabetiker geeignet, da er insulinunabhängig verstoffwechselt wird. Erythrit ist ein weiterer Zuckeraustauschstoff, der durch Fermentation von Traubenzucker hergestellt wird und natürlicherweise in einigen Obstsorten und fermentierten Lebensmitteln vorkommt. Erythrit ist ebenfalls diabetikergeeignet und stellt eine natürlichere Alternative zu synthetischen Süßstoffen wie Cyclamat, Saccharin, Sucralose oder Aspartam dar, kann aber bei Überdosierung zu Blähungen und Durchfall führen. Stevia ist ein süßes Kraut, hat keine Kalorien und keinen Einfluss auf den Blutzucker. Verwendet man die Blätter der Pflanze als Süßungsmittel im Tee, ist es eine sehr gesunde Zuckeralternative. Die meisten Produkte im Handel bestehen jedoch aus den isolierten, süß schmeckenden chemischen Verbindungen der Stevia-Pflanze. Ein Blick auf die Zutatenliste zeigt oft, dass andere Zucker oder Süßstoffe den Stevia-Produkten hinzugefügt werden.
Im süßen Dschungel zurechtfinden
Ernährungsexperten teilen die Zuckerersatzstoffe auch gerne nach ihrer «antioxidativen Kraft» ein, wie die untenstehende Tabelle zeigt. Diese Kraft bezeichnet die Fähigkeit eines Lebensmittels, zellschädigende Stoffe (sog. freie Radikale) unschädlich zu machen. Demnach ist Dattelzucker mit großem Abstand die gesündeste Alternative zu Haushaltszucker, da er einen wesentlich höheren Gesundheitswert mitbringt und aus ganzen Datteln gewonnen wird.
Dem Zuckerwahnsinn entgehen- nur wie ?
Das Prinzip ist ganz einfach: Frisches Obst vor Schokoriegel, selbst zubereiten ist besser, als eine fertige Tiefkühlpizza zu kaufen. Für den nächsten Geburtstagskuchen einfach Dattelzucker im Haus haben und den Tee lieber mit Stevia-Kraut anstelle von Süßstoff-Tabs süßen. Für welche Alternative zu Haushaltszucker man sich auch entscheidet, es gilt immer der Grundsatz, in Maßen zu genießen. Die beste Nascherei ist immer noch eine ganze Frucht. Bei allem Gesundheitsbewusstsein sollte man das frohe Genießen nicht vergessen, denn ein fröhliches Herz macht den Körper gesund.
Sara Kesten
Ernährungsberaterin
Leben & Gesundheit Ausgabe 1/2020